Der/die eine oder andere weiß oder stellt mit Blick auf mein Profil fest, dass ich der Ausbildung nach u.a. Analytischer Chemiker bin. Vieles an Wissen aus dem Studium ist mittlerweile verschüttet doch gelegentlich blitzen Erinnerungen wieder auf. Von einem dieser Blitze mag ich Ihnen heute berichten. Was das mit der Überschrift zu tun hat? Nun, lesen Sie selbst…?
Das Reporterprinzip
Es handelt sich bei diesem Blitz um eine Wortschöpfung von Prof.Stößer, damals Professor am Institut für Analytik an der HUB. Stellte er das Wesen geeigneter analytischer Methoden dar, verwendete er den Begriff „Reporterprinzip“. „Reporterprinzip“ steht dabei für die Idee, das Analytik, wenn Sie zu aussagekräftigen Ergebnissen führen soll, ähnlich einem kompetenten Reporter agieren solle. Meint: Ein Reporter ist immer dann erfolgreich, wenn er es schafft, durch seine Interviewtechnik einen Teil der Persönlichkeit der interviewten Person sichtbar werden zu lassen ohne das, auf diesem Wege entstehende Bild, durch die Art der Fragen zu sehr „einzufärben“ und dadurch im Augenblick der Fragestellung zu verändern. (Wow…ein Satz zum 3x lesen, lass ich jetzt mal so) Analytik sollte der Idee von Prof Stößer dem gleichen Prinzip folgen: Einerseits ein System leicht anstubsen oder anregen, so dass es den Wunsch hat, durch Energieabgabe ins Gleichgewicht zurückzukehren. Andererseits solle Analytik dezent agieren, so dass sie das zu analysierende System im Augenblick der Messung nicht (zu sehr) verändert.
Das Reporterprinzip im Coachingdialog
Woran erinnert Sie dieses Vorgehen? Genau… an zielführendes Vorgehen im Rahmen eines Coachingdialoges. Wir bei PLUS.EFFEKT® sehen den Coach als eine Person, die sich in den Dienst einer Erkenntnis bzw. einer erkennenden Person stellt. Um dieses Erkennen zu ermöglichen, braucht es (neben diversem anderen, was hier jedoch den Rahmen sprengt) einen Impuls, der einerseits zum Nachdenken anregt und andererseits eine Antwort nicht selbst durch die Art der Fragestellung vorwegnimmt.
In diesem Sinne haben die besten Coachingfragen (in 90% aller Fälle) einen möglichst großen Öffnungswinkel, um den Entscheidungsraum des Klienten nicht durch die Fragestellung einzuengen oder gar zu einer vom Coach erdachten Antwort zu führen. Welche Fragen das im Einzelnen sind, hängt natürlich vom zu bearbeitenden Kontext ab. In Tabelle 1 finden Sie Fragen unterschiedlichen Öffnungswinkels im Vergleich dargestellt. Coaching-Gegenstand möge hier die Nachbereitung einer Präsentation vor Kunden sein.
Kleiner Öffnungswinkel | Grosser Öffnungswinkel |
Wie zufrieden sind Sie mir Ihrer Planung? | Wie erleben Sie Ihr Herangehen an die Aufgabe? |
Welche Annahmen waren zutreffend? | Als wie valide erlebten Sie Ihre Planung? |
Wie schätzen Sie die Klarheit Ihres Ausdrucks ein? | Welche Rückmeldungen erhalten Sie zu Ihrem Auftritt? |
Inweiweit hat Ihr Auftritt zu Klarheit beigetragen? | Was haben Sie mit Ihrem Auftritt erreicht? Was nicht? |
Wie war die Rückmeldung der Teilnehmer? | Woran erkennen Sie das? |
Was würden Sie ändern? | Was leitet sich für Sie aus dieser Erkenntnis ab? |
Tabelle 1: Fragen unterschiedlichen Öffnungswinkels im Vergleich
Immer dann, wenn Sie selbst Begrifflichkeiten in Form von offenen Fragen einbringen, die einen sehr kleinen Öffnungswinkel haben, seien Sie sich dessen bewusst, dass Sie maßgeblich Einfluss auf die Antwort Ihres Klienten nehmen. In der og. Tabelle könnten das die Begriffe: „Planung“, „Vorbereitung“, „Klarheit“, „Teilnehmer“ oder „ändern“ sein, sofern diese nicht zuvor vom Klienten selbst verwendet wurden. Gleiches gilt, wenn Sie sich als Coach zu geschlossen (Coach gibt Antwort vor, Klient soll nur bestätigen oder verneinen), rhetorisch (Klient soll gar nicht antworten) oder gar suggestiv (Frage nach Bestätigung wobei eine Verneinung einem „Ich als Klient bin nicht OK“ gleichkommt) fragen hören.
Die „besten“ Coachingfragen führen Schritt für Schritt zu einer Erkenntnis, die IM KOPF DES KLIENTEN ENTSTEHT. Ein bewährtes Vorgehen besteht darin, Fragen möglichst großen Öffnungswinkelns zu stellen, der dann, an der Antwort des Klienten orientiert, immer kleiner wird. Bis am Ende dieses Prozesses, ein AHA die Folge ist.
Ein echtes Coachingsbeispiel
Abschließend ein illustrierendes Beispiel, nochmals bezogen auf den oben genannten Coaching-Gegenstand „Nachbereitung einer Präsentation beim Kunden“:
Coach: Was löst der Gedanke an Ihre Präsentation bei Ihnen aus?
Klient: Irgendwie das Gefühl der Unzufriedenheit, ich habe die Leute nicht wirklich erreicht.
Coach: Nicht wirklich erreicht…wie kommen Sie darauf?
Klient: In den Pausengesprächen nach meinem Vortrag, äußerten die Teilnehmer, vieles nicht wirklich verstanden zu haben…
Coach: Was genau äußerten die Menschen?
Klient: Nun, Sie sagten zum Beispiel, das der von mir dargestellte Produktnutzen in Ihrer Welt keine Relevanz hat, da das bei Ihnen ganz anders ist…
Coach: Was hat Sie veranlasst, genau diesen Produktnutzen darzustellen?
Klient: Nun, ich habe viele solcher Kunden, im Regelfall ist das ein sehr relevanter Punkt.
Coach: Was heißt für Sie Relevanz?
Klient: Relevanz heißt, etwas hat Bedeutung in der Welt des Kunden.
Coach: Was hat Bedeutung in der Welt dieses speziellen Kunden?
Klient: Mir scheint, das habe ich so richtig noch nicht verstanden…(AHA)
Coach: Woran liegt dieses, wie Sie sagen „noch nicht verstehen“?
Klient: Ich habe die kundenseitigen Teilnehmer an der Präsentation im Vorfeld nicht zu Ihrer Ausgangslage und Zielsetzung befragen können sondern lediglich einen Anforderungskatalog gesendet bekommen. Mit dem ich mich zufrieden gab, das war ein Fehler. (AHA)
Coach: Was leitet sich für Sie daraus ab?
Klient: Ich muss dringend nochmal einen persönlichen Gesprächstermin mit den Entscheidern, am besten auch Prüfern und Genehmigern auf Kundenseite anstreben. Ich glaube, ohne diesen persönlichen Austausch werden wir hier nicht zusammenfinden…
Coach: Aha, was noch?
Undsoweiterundsoweiter…
Sie haben jetzt mehr Fragen als vor dem Lesen diesen Beitrages? Nun…Coaching ist ein weites Feld. Lassen Sie uns diese gern persönlich besprechen…ich freue mich auf Ihre Kontaktaufnahme!
Herzliche Grüße aus Lumignano
Hardy Scholtyssek