Sommer.
…war das ein Sommer. Von April bis gestern, nur Sonnenschein. Gut, für die eine oder andere Person, auch für mich, ein bisschen warm…aber hey…das passte schon.
Zuckersand.
Für die Natur in Berlin und Brandenburg war das Wetter weniger gut. So trocken wie noch nie. Zahlreiche Straßenbäume gingen leider ein und wo ehemals Wiesen waren, sieht man jetzt eher Savannen. Und – reichlich Zuckersand. Da dieser Begriff meines Wissens nur in Berlin und Brandenburg Verwendung findet, kurz eine Begriffserklärung: Die Böden in Berlin und Brandenburg sind überwiegend Sandböden. Zahlreiche Waldwege im Berliner Umland bestehen auch nur aus festgefahrenem Sand. Die anhaltende Trockenheit dieses Sommers verwandelte diese Wege in nahezu unpassierbare, wüstenähnliche Flächen (siehe dazu auch das Beitragsbild…:-)) mit tiefem, losen Sand – dem `Zuckersand`. Womit der Charakter dieses Untergrundes gut beschrieben ist. Radfahrer meiden diesen gerne. Insbesondere, wenn sie mit dem Tandem unterwegs sind.
Tandem?
Die treue Leserschaft weiß bereits aus meinem vorigen Artikel, dass meine Frau und ich unseren diesjährigen Sommerurlaub erstmalig mit einem Tandem unterwegs waren. Ich vorne sitzend als Kapitän und meine Frau hinten sitzend als Stoker. Berlin-Slowenien und zurück, 2573km in 4 Wochen, hieß das Programm. Wer mehr wissen will…findet diesen HIER.
Was bedeutet nun Zuckersand fürs Tandemfahren? Aus unserem Erleben ist dieser ein erheblicher Stressor fürs Tandemteam und damit Prüfstand, anhand dessen sich zeigt, wie gut und abgestimmt ein Tandemteam funktioniert.
Warum? Schauen wir uns erstmal an, welche Möglichkeiten ein einzelner Radfahrer hat, mit Zuckersand umzugehen. Im Wesentlichen bieten sich diesem 3 Optionen:
- Absteigen und durchschieben
- Ein Weg daran vorbei nehmen, entweder schiebend oder im besten Falle fahrend
- Rechtzeitig den Zuckersand erkennen, maximal beschleunigen und mit voller Kraft durchfahren, hoffend, das der Impuls weit genug trägt, bis wieder fester Boden unten den Füßen (bzw. Reifen) gegeben ist. Was manchmal klappt, manchmal nicht.
In dieser Art und Weise überwunden ist Zuckersand auf Dauer zwar irgendwie hinderlich bis durchaus ärgerlich, gleichzeitig nie wirklich ein Problem. Die Entscheidung für eine der 3 Optionen fällt ein Radfahrer jeweils situativ und setzt diese dann direkt um. Soweit, so gut.
Bei einem Tandem ist das anders. Abgesehen davon, dass es gewichtsbedingt wesentlich tiefer in den Zuckersand einsinkt (was, unter uns, wirklich lästig ist), unterscheidet sich das Tandem in einem ganz maßgeblichen Punkt vom konventionellen Fahrrad. Bei letztgenanntem fallen Entscheidungsträger und Leistungserbringer in eine Person zusammen = den Radfahrer. Beim Tandem ist das anders. Die Leistung wird an zwei Positionen erbracht, wobei die Entscheidung, gerade auch wenn diese kurzfristig gefällt werden soll, nur von einer Person, = dem Kapitän = dem vornefahrenden = in diesem Falle also mir, getroffen wird.
Dessen Weitblick und damit Entscheidungshorizont ist Sitzpositionsbedingt wesentlich weiter als der des hinten fahrenden = Stokers = meiner Frau. Unter anderem daraus ergibt sich die, bereits im letzten Artikel angedeutete Notwendigkeit nach Vertrauen, dass der Stoker dem Kapitän im hohen Maße schenken muss.
Im Alltag bzw. auf Asphalt ist das unkompliziert. Entscheidungen, sofern Sie denn eine Implikation für den Stoker haben, kann der Kapitän rechtzeitig kommunizieren bzw. es ist oft sogar genug Zeit, um diese gemeinsam mit dem Stoker zu fällen.
Im Gelände wird diese Entscheidungszeit deutlich kürzer bis hin zu Situationen, in denen Entscheidungen in Bruchteilen von Sekunden gefällt werden müssen, zum Beispiel um einen Sturz zu vermeiden oder auch…wenn Zuckersand überwunden werden will. Eine Kommunikation zwischen Kapitän und Stoker ist dann nicht mehr möglich, der „Organismus“ Tandem muss in blindem Verständnis miteinander funktionieren.
Funktionieren heißt in diesem Falle, die Entscheidung, die der Kapitän ohne weitere Absprache getroffen hat, umsetzend agieren. Ich entscheide mich als Kapitän bei Zuckersand im Regelfall für die dritte der zuvor genannten Optionen. Heißt: so stark wie möglich beschleunigen und das solange beibehalten, bis das Hindernis überwunden (oder schreibt man da: durchwunden?…:-)) ist.
Spannend ist des Stokers Sicht in einem solchen Falle. Dieser findet sich, ohne dass er zuvor davon wusste, mit großer Geschwindigkeit in einem Meer aus Zuckersand wieder. Und jetzt passiert etwas entscheidendes: Glaubt er auf Basis seines Vertrauens, dass der Zuckersand durchwunden werden kann oder verliert er diesen Glauben auf Basis dieses Hindernisses und bereitet sich auf den Absprung vor. (Meine Frau z.B. löst in Ihr gefährlich scheinenden Situationen die Klickpedalen).
Das ist insofern spannend als dass sie Zuckersand mit dem Tandem sowieso nur durchwinden können, wenn alle Beteiligten mit voller Kraft mittreten. Heißt einerseits: Solange Kapitän und Stoker volle Kraft treten, lässt sich der Zuckersand meistens durchqueren. Heißt gleichzeitig: Sobald der Stoker das Vertrauen in die Entscheidung des Kapitäns verloren hat und nicht mehr voll mit-tritt, bestätigt er, wenn nicht eh schon gerechtfertigt durch die Umstände, sein eigenes Misstrauen. Ein grandioses Beispiel für selektive Wahrnehmung, die sich anschließend als wahr bestätigt. Und ein heftiges Learning für mich.
Unternehmensziele??
Was hat das nun mit Ihren Unternehmenszielen zu tun? Nun, es gibt Zeiten, da ist Ihre Organisation möglicherweise auch `Zuckersand`, im Sinne von Sand im Getriebe, bzw. diversen Stressoren ausgesetzt. Zuviel oder zu wenig verkauft, Change-situationen etc., alles Situationen, die die Organisation, ähnlich dem Tandem, nur dann unbeschadet durchwindet, wenn sich alle Mitarbeiter im Sinne der Zielerreichung engagieren. Sobald jedoch zu viele das Vertrauen in die Entscheidungen der Unternehmensführung verlieren und das Engagement einstellen oder sich gar nach Alternativen umschauen, nimmt der Teufelskreis seinen Lauf.
Im Umgang mit dem Stressor sinkt die Leistungsfähigkeit der Organisation immer weiter, die Zweifler fühlen sich bestätigt oder behalten schlussendlich recht. Aus Organisationssicht eine Tragödie.
Wie das vermeiden bzw. was leitet sich für Führungskräfte daraus ab? Diverses und zu viel, um es in diesem Rahmen vollumfänglich auszuführen. Auf 3 Punkte möchte ich jedoch hinweisen:
- Auch Sie als Führungskraft sind im Umgang mit Hindernissen regelmäßig mit Entscheidungen befasst. Häufig erlebe ich dabei eine Strategie des „Aggressiven Zuwartens“, mal schauen, ob sich das Hindernis von selbst erledigt, ist dabei regelmäßig eine Devise. Dabei werden alle Optionen bewusst offen gehalten, um möglichst spät, auf der Basis der dann entstandenen Faktenlage, zu entscheiden. Bis dahin wird reflektiert, abgewogen, die Optionen geprüft (im besten Falle!!). Wenn nicht von den Führungskräften, dann JEDENFALLS von den Mitarbeitern (Jeder Interpretationsraum, jedes Kommunikationsvakuum will gefüllt werden). Dieses Reflektieren, erzeugt häufig, sie ahnen es schon…den Zweifel, der den oben genannten Teufelskreis in Gang setzt und die Organisation aus dem Tritt bringt. Heißt: Reduzieren Sie den Interpretationsraum Ihrer Mitarbeiter dadurch , dass Sie klar und rechtzeitig kommunizieren, wie Sie das Umgehen der Organisation mit einem Hindernis vorstellen. Oder auch, worin das Hindernis besteht und welche Pläne Sie im Umgang damit haben (Führungskompetenz: Klarheit)
- Halten Sie Ihre Entscheidung durch. Zuviel Lavieren, insbesondere direkt nach einer Entscheidung, befördert auch o.g. Zweifler bzw. erzeugt eine Atmosphäre, in der sich viele nicht konsequent im Sinne Ihres Plans engagieren sondern immer auch Plan B möglich halten. Die Energie, die fürs Aufrechthalten der Option Plan B vorgehalten werden muss, fehlt Ihnen dann für die Umsetzung von Plan A… (Führungskompetenz: Konsequenz)
- Spannend ist insbesondere, wie Sie mit den, immer gegebenen (und das ist gut so!!) kritischen Stimmen, auch Omega-Positionen umgehen. Ziehen Sie weiter Ihren Plan durch oder geben Sie diesen auf Basis der Kritik auf? Was im Einzelfall durchaus angezeigt sein kann. Hier ist die Führungskraft im hohen Maße gefordert. Warum? Nun, welche Führungskraft verliert schon gern ihr Gesicht, wer gibt gern Fehler zu? Außerdem, auch die Führungskraft läuft Gefahr, Ihr Verhalten an einer selektiven Wahrnehmung auszurichten. Um im Tandembeispiel zu bleiben: Sieht sie in erster Linien das Zuckersand-Hindernis oder in erster Linie das Etappenziel, das rechtzeitig erreicht werden soll und das kein Absteigen zulässt. Reflexartig (Stichwort System 1, Daniel Kahneman sei Dank) entscheidet sich die Führungskraft für ein Verhalten, das auf Basis der eigenen selektiven Wahrnehmung sinnvoll scheint, steigt also ab oder beschleunigt. Obwohl, bei näherer Betrachtung, genau das Gegenteil angezeigt gewesen wäre.
- Aus meiner Sicht steckt hier die Quelle für diverse sehr vertrackte Situationen, in die Organisationen geraten. Es muss schnell entschieden werden, ohne zuvor einem gewissen Maß an Wahrnehmungsabgleich Zeit und Raum zu geben (auch hier gibt’s einen Kosmos an Gründen, sofern Sie diesen diskutieren wollen, rufen Sie mich gern an: 0151 1880 1520). Die so getroffenen Fehlentscheidungen werden dann gesichtswahrend durchgehalten…
- Ein mögliche Lösung für diesen Punkt: Daniel Kahneman nennt dies „Recognition primed decision“, eine Art der Entscheidungsfindung, die immer noch schnell ist, gleichzeitig einer angereicherten Wahrnehmung bewusst Raum gibt. Kein Garant dafür, immer richtig zu liegen. Aber jedenfalls ein Weg, um die Validität Ihrer Entscheidungen entscheidend zu erhöhen.
- Eine weiterer: Richten Sie strukturierte Feedbackmechanismen in Ihrer Organisation ein. Feedbackmechanismen, die insbesondere solche Personen involvieren, deren Wahrnehmungspräferenzen deutlich von den Ihren abweichen. Oder auch solchen, die regelmäßig in Opposition zu Ihnen gehen.
Wie bin ich auf dies Idee dieses Blogbeitrags gekommen? Sie werden es nicht glauben, meine Frau fährt jetzt Sonntag früh gern Fahrrad mit mir. Solange wir das Tandem nehmen…?. Genau das taten wir dann heute früh auch…und fuhren so durch u.a. Zuckersand und Plopp…hatte ich etwas für den Rest des Tages zum drüber-nachdenken und dann in Schriftform bringen.
Außerdem hatte ich, wegen der umfangreichen Resonanz auf meinen letzten Blogartikel, eine Fortsetzung versprochen. Sofern Sie bis hierher gelesen haben…das war sie!
Ein erfolgreiches Schlussquartal 2018, mit möglichst wenig Sand im Getriebe wünscht,
Ihr
Hardy Scholtyssek